Freitag, 24. April 2009

Barfuß

Nach der Arbeit noch 3 Stunden Schule zu haben, um für die Prüfung vorbereitet zu werden, ist ein wenig anstrengend. Überhaupt aber erst dann, wenn gewisse Menschen einem das Leben schwer machen und wenn man aus lauter Unkonzentriertheit beinahe ein
Menschenleben auf dem Gewissen gehabt hätte.

In den drei Stunden unseres wundervollen Vorbereitungskurses verbrachte ich demnach die Zeit damit, gedankenverloren aus dem Fenster zu starren und die Frühlingsaussicht zu genießen.

Den Nachhauseweg verbrachte ich wie immer allein, da meine Freundinnen andere Wege gingen. Ich dröhnte mir wie üblich die Ohren voll Musik - diesmal melancholisch, oh Wunder - ,starrte nach oben in die Bäume und bewunderte das Farbenspiel der Blätter. Da keine Menschenseele außer mir sonst in diesem Park war, rannte ich auch nicht Gefahr in einen anderen Spaziergänger hineinzustolpern.

Irgendwann erreichte ich den Bushof, und da die Abfahrtszeiten um diese Zeit sehr schlecht für mich gewählt waren, überlegte ich, ob ich kurz meine Mutter besuchen sollte, bis mein Bus kam. Ich entschied mich dagegen.

So wartete ich auf der Bank und schwebte in meiner Musikwelt. Irgendwann rollte jemand im wahrsten Sinne des Wortes an mir vorbei. Irgendwann darauf bemerkte ich, dass er mich angrinste und seinen Lippenbewegungen zu schließen "Hallo" zu mir sagte. Ich erwiderte lächelnd den Gruß und das Thema war für mich erledigt.

Für ihn scheinbar nicht, denn er blieb stehen und sagte irgendetwas zu mir. Willkommen bei Szene "Wieso merken die Leute nicht dass ich Musik hören will hoffentlich ist das etwas Wichtiges - ja ich lege mal meine Kopfhörer ab mal sehen was mich erwartet" - Nummero 137.

Inzwischen weiß ich gar nicht mehr, wie unser Gespräch anfing. Im ersten Augenblick, sobald man merkt dass dieser Mensch nicht nach der Uhrzeit oder nach dem Bus fragt, ist das Gefühl recht unangenehm, da man nicht weiß, was dieser Mensch überhaupt von einem will. Doch ich gebe jedem Menschen eine Chance.

So schaute ich ihn mir näher an. Stellte Fragen, versuchte über seine Familie und über seinen Werdegang zu erfahren. Menschen zu analysieren macht Spaß.

Er heißt Karim, ist seit seiner Geburt im Rollstuhl, weil er einen offenen Rücken hat und scheinbar ist er ein Problemkind für jeden Pflegedienstleister. Oder aber er ist wirklich ein Opfer und Spielball für die körperlich und geistig Gesunden.

Egal was nun stimmt oder nicht: Mir hat er leid getan. Und auf irgendeine Weise war er mir sympathisch. Eindeutig ein schwieriger Mensch, aber was für eine Ahnung habe ich schon?

Wir unterhielten uns viel, merkten, dass es für beide Seiten recht locker war. Er war auch nicht aufdringlich. Nicht allzusehr jedenfalls. Und er hat keine unnötigen Komplimente gemacht - ebenfalls ein Pluspunkt.

"Ich merke, mit wem man gut reden kann und mit wem nicht. Wenn jemand so tut, als ob er zuhört, oder jemand wirklich zuhört. Du hörst mir zu." war das einzige, was man Kompliment nennen kann - und ich habe es so aufgefasst. Meine Freunde würden lachen. Ich höre zu! Das tat ich aber wirklich. Das ist reine Vorsicht und Gefahrenanalyse!
Nach geraumer Zeit merkte ich aber, dass der kleine Kerl im Rollstuhl kein "Böser" war.

Karim. "Die Pflegeleute machst du platt! Die können dir doch nichts anhaben, oder?" rief ich ihm beim Abschied hinterher. Er lachte und fuhr die Rampe hoch, hinein in seinen Bus.

Mein Trödelbus fuhr auch irgendwann an. Zeit nach Hause zu fahren. Noch ein wenig Musik, und ich war glücklich. Soweit.

So kann also ein anstrengender Tag enden. Immerhin hatte mich diese kleine Begegnung abgelenkt. Und Ablenkung ist immer gut.